Zum ersten Mal in meinem Leben, fuhr
ich ganz alleine weg. Ich brauchte dringend Abstand. Absolute Stille und die
Gewissheit; einmal nur auf mich gestellt zu sein, ohne dabei ein schlechtes
Gewissen zu erhalten. Ich musste mir über ganz viele Dinge im Klaren werden,
wollte wieder auf meinen inneren Weg finden, den ich bislang immer klar in mir
verfolgt hatte. Ascona ist dafür einfach wunderbar. Dort scheint die Zeit
stehen geblieben zu sein. Diese Ruhe und die schätzende Art, wie sich Menschen mit
Respekt begegnen, hat mir neuen Mut gegeben. Vielleicht ist die Welt ja doch
nicht so derart schlecht, wie ich sie zu diesem Zeitpunkt gesehen habe. Auf
jeden Fall konnte ich mich in diesem Umfeld dazu durchringen, mich für Neues zu
öffnen, meinen Horizont zu erweitern, wieder etwas an mich heranzulassen und
vor allem, auf Menschen zuzugehen. Mein Magen machte sich zwar immer mal wieder
bemerkbar und es gab Tage wo die örtliche Betreuung in Bereitschaft stand, mich
umgehend ins Spital einzuweisen, um eine allfällige Notoperation zur
Verhinderung eines Magenwand Durchbruchs durchzuführen. Aber mein Zustand wurde
dort rascher stabil als erwartet und so konnte ich die Leute davon überzeugen,
mich dazubehalten und einfach nur unterstützend an meine Genesung beizutragen.
Zwischen dem Vertrauen, dass es schon gut kommen wird und
den Rückfällen der Entzündung, die mein Leben in Frage gestellt haben, war es
eine äußerst harte Zeit, die mich jedoch mit den Leuten dort extrem zusammen
geschweißt hat. An dieser Stelle möchte ich Barbara Oliveira erwähnen. Eine
außergewöhnlich, liebenswerte Frau. Sie strahlt so viel Wärme aus und ihre
Augen glänzen, sodass es einem in ihrer Gegenwart die Seele erwärmt. Wenn ich
sie ansah, zog mir automatisch ein Lächeln ins Gesicht und die Sonne schien mir
mitten ins Herz. Ich fühlte mich einfach wohl in ihrer Nähe, so unbelastet und
frei, als ob ich sie schon mein ganzes Leben lang kennen würde. Barbara war aufgrund
eines Tumors ihrer Gebärmutter in Ascona, den sie zuvor entfernen lassen
musste. Neuen Mutes betrat sie das Kurhaus San Christoforo und erfuhr da, dass
weitere Metastasen einer anderen Krebsart, inwendig ihres Gebärmuttergewebes
gefunden wurden, welche sie nach ihrer Rückkehr nun auch noch zu einer
Chemotherapie zwingen würden. Sie hatte Mühe mit diesem Rückschlag umzugehen
aber dennoch schien sie das irgendwie nicht wirklich aus der Bahn zu werfen.
Wir saßen also da, in der Sonne auf der Terrasse unseres vorübergehend schützenden
Hauses und wussten beide auf ganz unterschiedliche Weise nicht, was zu Hause noch
alles auf uns zukommen würde. Wir haben uns stundenlange unterhalten und erneut
dazu entschieden, das Leben einfach als weitere Herausforderung so anzunehmen,
wie es eben war. Zusammen mit ihr, fühlte es sich zumindest so an, als ob wir
gegen alles gewaffnet wären. Seither bin ich mir sicher, dass es sie gibt,
diese Krieger des Lichts. Der Abschied fiel mir schwer. Ich wollte noch nicht
nach Hause, wollte diesem Ort, der mich so behütet hatte und mir eine
Sicherheit bot, wie ich sie Jahre zuvor nicht mehr verspürt hatte, nicht den
Rücken kehren. Nur ein einfaches, kleines Zimmer, Bad/WC im Flur, nichts vor Ort gehörte mir,
nichts erinnerte mich an irgendetwas und doch, fühlte ich mich nirgendwo sonst
mit einem Ort so verbunden, wie mit diesem. Als ich im Zug saß, tropften mir
die Tränen nur so auf die Jeans. Ein geballter Krampf in meinem Magen, liess
mich deutlich die Angst spüren, in mein “altes” Leben zurückzukehren. Eine
Umgebung die mir lange viel abgewann und ich so nicht mehr haben wollte. Doch unerklärliches hatte sich verändert, ich besaß fortan eine Gewissheit, dass es
Menschen und Umgebungen gibt, wo man mit bedingungsloser Selbstverständlichkeit
angenommen wird, genau so, wie ich das bisweilen immer zu tun gepflegt hatte.
Ich werde mich immer an die Zeit in Ascona erinnern, sie hat mein Leben
sichtlich bereichert.
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